Katja Mast im Interview des Mühlacker Tagblatts
Quelle: Mühlacker Tagblatt, 18.04.2020
Die Bundesregierung hat in der Corona-Krise ein großes Sozialschutzpaket geschnürt. Reichen die Maßnahmen aus, um die Bürger vor dem Absturz in die Armut zu bewahren?
Wir entscheiden und handeln schnell. Oberstes Ziel ist, die Gesundheit von uns allen – egal ob jung oder alt – zu schützen. Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz. Klar ist, dabei gibt es auch Härten – finanzielle und soziale. Hier helfen wir durch den Kinderzuschlag und die vereinfachten Regeln bei der Grundsicherung. Unser wichtigstes Instrument ist das Kurzarbeitergeld. Damit sorgen wir dafür, dass Menschen ihren Job behalten und Unternehmen nach der Krise wieder durchstarten können. Es wird unermessliches geleistet, von den stillen Heldinnen und Helden unseres Alltags – den Pflegekräften und Ärzten, den Kassiererinnen, den Paketzustellern, den Schaffnerinnen und in den Verwaltungen, gerade auch bei der Bundesagentur für Arbeit. Viele leisten Großes mit kleinem Gehalt. Und dann gibt es die Eltern, die seit Wochen ihre Kinder betreuen und mit ihnen täglich lernen – auch das ist alles andere als selbstverständlich. Wir handeln, damit wir die Folgen der Pandemie abfedern. Das machen wir im internationalen Vergleich recht gut. Danke an alle, die mithelfen und zeigen, dass wir einen handlungsfähigen, starken Sozialstaat haben.
Können Sie den finanziellen Rahmen überblicken? Sprengt er nicht alle Möglichkeiten unseres Landes?
Wir haben die Mittel und Ressourcen, um so entschlossen auf diese Krise zu antworten. Mit Vizekanzler Olaf Scholz haben wir einen Finanzminister, dessen vorausschauende Haushaltspolitik all‘ das jetzt ermöglicht. Bei der Bundesagentur für Arbeit haben wir von der SPD für ausreichende Rücklagen im Falle einer Krise gesorgt – denn aus diesen 26 Mrd. Euro wird das Kurzarbeitergeld finanziert. Im Bundestag wurde in Rekordzeit ein Nachtragshaushalt in Höhe von 156 Milliarden Euro beschlossen und die Schuldenbremse temporär wegen der Pandemie außer Kraft gesetzt. Das ist kein Selbstzweck, sondern dient dazu, die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zu schützen, Existenzen zu sichern und dafür zu sorgen, dass möglichst niemand seine Arbeit verliert.
Warum beträgt das Kurzarbeitergeld nur 60 bzw. 67 Prozent des letzten Nettolohns? Damit fallen viele Beschäftigte auf Hartz IV zurück.
Unser Ziel ist, das so wenig Jobs wie möglich verloren gehen. Dabei ist das Kurzarbeitergeld eines der wichtigsten Instrumente. Über 700.000 Unternehmen haben es beantragt, in Baden-Württemberg sind es gut 89.000. Klar ist, dass 60 bzw. 67 Prozent des letzten Nettolohns für viele Menschen, gerade mit kleineren Einkommen, nicht ausreichen, um die Kosten des Alltags zu decken. Ich kenne die Situation der Betroffenen aus vielen Gesprächen sehr gut. Das ist oftmals hart. Deshalb ist mein Appell an die Arbeitgeber, wo immer es geht, das Kurzarbeitergeld aufzustocken – einige Tarifverträge machen es vor. Das ist auch ein gutes Zeichen in die Belegschaften hinein. Und wir schauen in Berlin was wir tun können, um diese Härten abzufedern. Das mache ich auch als Vorsitzende der Task Force der SPD-Bundestagsfraktion „Soziale Folgen der Corona-Pandemie“. Ich bin ständig mit unseren SPD-Ministern in Kontakt – es gibt fast schon eine Standleitung zu Franziska Giffey und Hubertus Heil.
Sind die Kosten und Lasten der Krise fair verteilt?
Die Corona-Pandemie führt dazu, dass Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft stärker zu Tage treten. Hier für mehr Gerechtigkeit zu sorgen ist schon immer ein zentrales Anliegen der Sozialdemokratie – in der Krise und darüber hinaus. Gut finde ich zum Beispiel, dass wir gerade diese Woche eine Möglichkeit gefunden haben, den Kommunen das kostenfreie Mittagessen für bedürftige Kinder zu erstatten, wenn sie dieses jetzt mobil anbieten. Das sind kleine Dinge, die für viele Familien viel bedeuten und vor allem unsere Kinder stärken.
Porsche bezahlt seinen Mitarbeitern einen hohen Bonus für ihre Leistungen im Jahr 2019, nimmt 2020 aber gleichzeitig staatliche Hilfen in Anspruch – ist das der breiten Bevölkerung zu vermitteln?
Natürlich sind jetzt alle gefragt, um die Auswirkungen der Krise abzufedern – viele Beschäftigte sind ja bereits in Kurzarbeit. Wenn ich richtig informiert bin, ist das ja ein Bonus für die Mitarbeiter und deren Erfolg im letzten Geschäftsjahr. Mir ist wichtig, dass in Unternehmen, dort wo Staatshilfen in Anspruch genommen werden, keine Bonuszahlungen für das Management erfolgen.
Geschlossene Tafeln und Sozialkaufhäuser sowie der Wegfall des kostenlosen Essens in der Schule für Kinder stellen eine enorme finanzielle Belastung für Hartz IV-Empfänger dar. Was halten Sie von den Vorschlägen, ihnen einen Pandemie-Zuschlag zu gewähren?
Ich bin froh, dass sowohl in Mühlacker, als auch in Pforzheim, die Tafeln weiter offen sind. Danke an alle die dort jeden Tag das Rad am Laufen halten. Grundsätzlich enthalten die Regelsätze ja auch das Geld für das Mittagessen. Wir schauen aber auch hier weiter genau hin und fordern beispielsweise schon länger die Einführung einer sozialdemokratischen Kindergrundsicherung, damit jedes Kind in Deutschland gleich behandelt wird. Damit würden Kinder gar nicht erst ins Arbeitslosengeld 2 kommen. Mich bewegt, wie wir es schaffen, dass auch arme Kinder an den digitalen Lernangeboten ihrer Schule teilnehmen können. Das ist eigentlich die Aufgabe der Landesregierung, aber bei bedürftigen Kindern arbeiten Hubertus Heil und ich zusätzlich an Lösungen.
Der Bund hat ein großes Programm mit Soforthilfen für Solo-Selbstständige aufgelegt. Inzwischen mehren sich die Stimmen, die darauf aufmerksam machen, dass dieses Programm auch missbraucht wird, etwa durch Selbstständige, die gar keine laufenden Betriebsausgaben haben. Wie ist das am besten auszubalancieren: unbürokratischen und schnelle Hilfe versus Schutz vor Missbrauch.
Gezielten Missbrauch gilt es immer zu bekämpfen. Wer versucht Soforthilfen zu erhalten, obwohl er sie gar nicht braucht, der verhält sich außerdem zutiefst unsolidarisch. Das wird Konsequenzen haben. Die Rückmeldungen, die ich bekomme zeigen aber, dass viele der Selbständigen, die Soforthilfen beantragt haben feststellen, dass sie das Geld bereits sehr schnell auf dem Konto haben. Das zeigt: Wir handeln. Und es stärkt das Vertrauen in Politik und die Handlungsfähigkeit des Staates. Wir, in Parlament und Regierung, sind fast rund um die Uhr damit beschäftigt, beschlossenes umzusetzen und nachzusteuern wo es Lücken gibt. Unser Ziel ist, kein Job geht verloren wegen zu langer Genehmigungswege.
Ist es Aufgabe des Staats, Sonderzahlungen und bessere Löhne in schlecht bezahlten aber umso wichtigeren Berufen – etwa in der Pflege – durchzusetzen?
Während der Corona-Epidemie wird für alle sichtbar, wie wichtig Berufe sind, auf die nicht jeden Tag der Scheinwerfer leuchtet. Ich denke da an die Supermarktkassiererin, die Pflegekräfte, das medizinisches Personal aber auch andere Berufsgruppen bei Polizei, Müllabfuhr oder in der Energiebranche. Man kann gar nicht in Worte fassen, was da derzeit für uns alle geleistet wird und das teilweise zu sehr geringen Löhnen. Schon wenn ich mit meinem Bruder rede – er ist Altenpfleger – bekomme ich einen Eindruck, was da los ist. Und da geht es oft neben einer finanziellen Anerkennung auch ganz einfach um die notwendige Schutzausrüstung. Richtig finde ich, dass Olaf Scholz die Sonderzahlungen im Bereich der Pflege bis 1.500 Euro steuerfrei gestellt hat. Das finde ich ein wichtiges Zeichen der Politik an die Branche. Ob alle Pflegenden sie bekommen hängt von guten Tarifverträgen ab – hier wünsche ich mir eine Übernahme der Regelung für alle Pflegenden. Mittelfristig soll es einen Tarifvertrag Pflege geben und wir wollen den Mindestlohn auf mindestens 12 Euro erhöhen.
Sie haben schon vor zwei Wochen darauf hingewiesen, dass man die gesellschaftlichen Dynamiken in der Krise nicht unterschätzen dürfe, weil enorme Fliehkräfte am Werk seien. Was meinen Sie konkret damit?
Auch wenn wir das gesundheitliche Risiko einmal erfolgreich eingedämmt haben, werden uns die sozialen Folgen der Corona-Pandemie noch lange beschäftigen. Klar ist: Wir haben noch lange nicht alle Themen gut bearbeitet – viele Familien belasten die Schulschließungen bis hin zu den Schülern die nicht wissen, wann und wie ihr Abitur stattfindet. Und ja, die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sind immer wieder mit dem Gesundheitsschutz abzuwägen. Wir werden Schritt für Schritt zu einer kontrollierten Normalität zurückkehren müssen.
Die Corona-Krise führt in vielen Ländern zu einer Massenarbeitslosigkeit. Wie groß ist die Gefahr, dass die Wirtschaft nicht so schnell auf die Beine kommt wie wir uns das vorstellen, weil wichtige Partner – etwa die USA – ausfallen oder Lieferketten kollabieren? Stehen wir am Beginn einer Weltwirtschaftskrise?
Die Corona-Pandemie hat nicht nur fast alle Länder der Welt erreicht, sie hat auch die Weltwirtschaft angesteckt. Das sehen wir sehr eindrücklich an zusammengestrichenen Flugplänen, abgesagten Hotelübernachtungen und leeren Auftragsbüchern. Deshalb haben wir im Bundestag und in der Bundesregierung auch entschlossen gehandelt und große Hilfspakete auf den Weg gebracht. Es geht darum, jetzt die Krise möglichst unbeschadet zu überstehen, um dann unsere Wirtschaft und unsere Industrie wieder hochfahren zu können. Sofern nötig werden wir zu gegebener Zeit auch ein Konjunkturprogramm prüfen, um die Wirtschaft zu beleben. Die Pandemie wird aber auch in Deutschland dazu führen, unsere globale Arbeitsteilung neu zu überdenken. Ist es sinnvoll bei Schutzkleidung voll auf ein Land zu bauen? Ist es sinnvoll, bei kleinen Teilen die ganze Produktion lahmzulegen, oder wegen einem kleinen Preisunterschied auf nicht-europäische Produktionen zu setzen? Ich bin mir sicher, dass wir eine neue Debatte über weltweite Verflechtungen führen werden.
Die Regierungsparteien erhalten viel Zustimmung für ihre bisherige Politik. Warum profitiert die CDU in den Umfragen davon mehr als die SPD?
Jeden Morgen, wenn ich aufstehe, kümmere ich mich darum, die Krise für die Bürgerinnen und Bürger abzufedern. Wer jetzt Debatten über Umfragen führt, hat nicht verstanden wie existenziell die Situation für ganz Deutschland und jeden einzelnen ist. Jetzt zeigt sich die Stärke dieser Koalition, die mit Bedacht und Zuversicht handelt. Daran arbeite ich in meiner Funktion als stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und Abgeordnete für die Menschen aus Pforzheim und dem Enzkreis gerade Tag für Tag. Ich bin froh, dass die SPD in dieser Krise Teil der Bundesregierung ist. Unsere sozialdemokratischen Ministerinnen und Minister sorgen gerade an maßgeblicher Stelle für den Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, für die Unterstützung von Selbstständigen, für Hilfen für Familien und vieles mehr. Darauf kommt es an.
Uwe Hück will ihnen die Bundestagskandidatur streitig machen? Wie sehr beschäftigt sie der interne Streit in der SPD, der entlang der Linien SPD Pforzheim und Enzkreis-SPD verläuft?
Entscheidungen gehören zur Demokratie – dazu gibt es Termine. In der derzeitigen Situation vor der unsere Region, unser Land und die Welt steht, erwarten die Menschen zu Recht, dass sich die Politik um das kümmert, was tatsächlich und nicht scheinbar anliegt. Und glauben sie mir, damit ist mein ganzer Tag gefüllt.
Wie sieht ihr Politikalltag in Zeiten der Corona-Krise aus?
Ich verbringe momentan noch mehr Zeit am Telefon und Tablet als sonst. Mein gesamtes Team arbeitet im Homeoffice. Gerade jetzt gilt es, viele Fragen schnell zu klären. Verbände, Vereine, Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger wenden sich mit konkreten Anliegen an mich. Oft kann ich weiterhelfen. Außerdem führe ich Telefonkonferenzen mit unseren sozialdemokratischen Ministern, meiner Fraktion und dem Koalitionspartner. Ich habe schon immer viel von unterwegs gearbeitet, zum Beispiel im Zug. Mittlerweile sieht man aber auch, dass viele eine Routine darin gewinnen. Ich glaube und hoffe, davon wird uns einiges erhalten bleiben! Diese Woche habe ich zum Beispiel eine Betriebsrätekonferenz per Video abgehalten. Natürlich freue aber auch ich mich, wieder auf persönliche Begegnungen, Veranstaltungen und die normalen Gespräche. Denn der direkte Kontakt ist natürlich nicht zu ersetzen. Und als Mutter von zwei schulpflichtigen Kindern stehe ich mit meinem Mann vor vielen Herausforderungen, die alle anderen Familien auch haben. So lange ich nicht in Berlin bin, bin ich deshalb beispielsweise für das Mittagessen zuständig – so lange keine Telefonkonferenz dazwischenkommt.