Deutscher Bundestag
SPD

Gastbeitrag für t-online zur aktuellen politischen und gesellschaftlichen Situation

15.08.2022

Stresstest für unser Land: Auf die richtigen Schlüsse kommt es an

Deutschland ist im Stress: In der Ukraine tobt seit beinahe sechs Monaten ein brutaler und völkerrechtswidriger Krieg, die Corona-Pandemie geht ins dritte Jahr und weite Teile der Gesellschaft machen sich große Sorgen, wie sie ihren Kühlschrank füllen, ihre Energiekosten oder ihre gestiegenen Rechnungen bezahlen sollen. Es geht längst um viel mehr als die nächste Gasrechnung. Viele Menschen sind verunsichert.

Mit Fug und Recht kann man feststellen, dass unsere Gesellschaft einen Stresstest durchlebt. Doch was folgt daraus? Ein Stresstest prüft ein bestehendes System auf Herz und Nieren. Unsere Stromnetze sowie die noch laufenden Atomkraftwerke durchlaufen gerade einen Stresstest. Die Funktion unseres Bankensystems wird fortlaufend mittels Stresstest überprüft und unser Öffentlicher Personennahverkehr zeigt gerade beim Stresstest 9 Euro-Ticket, was er kann.

Doch wie viel Stress hält unsere Gesellschaft als Ganzes aus? Ab wann wird es zu viel? Wir müssen die richtigen Schlüsse ziehen, um unsere Gesellschaft zusammen zu halten.

Die Antwort muss ein starker, sozialer und demokratischer Staat sein, der Schwächeren, bis hinein in die Mitte, Lasten abnimmt und zur Seite steht. Nur so besteht unsere Gesellschaft diesen Stresstest, der noch durch die Megatrends Demographie, Digitalisierung und den notwendigen Klimaschutz – inklusive der Transformation – verschärft wird. Nur ein starker Staat kann die massiven Belastungen abfedern und Lasten gerecht verteilen. Es ist daher völlig klar, dass es neben den bereits auf den Weg gebrachten 30 Milliarden Euro Entlastungen weitere, zielgerichtete Unterstützung braucht.

Gaskunden retten Gas-Unternehmen

Weil es gerecht zugehen muss, kann es auch nicht sein, dass Kunden ihre Gasunternehmen mittels Gasumlage retten, während die Energiebranche Milliarden Euro Übergewinne anhäuft. Diese Zufallsgewinne sind weder leistungsbezogen noch gerechtfertigt. Sie resultieren aus einzig einem Strommarktdesign, das für solche Extremsituationen nicht gemacht ist. Darum ist es nur fair, mit einem Teil dieser Zufallsgewinne die gesellschaftlichen Belastungen zielgerichtet abzumildern. Dass wir derzeit sehr intensiv darüber sprechen, wie Krisengewinner stärker zum gesellschaftlichen Frieden beitragen können, ist richtig.

Aber wir müssen noch genauer hinschauen: Wir müssen an unserer gesellschaftlichen Widerstandsfähigkeit arbeiten – in der Energieversorgung etwa machen wir uns unabhängig und setzen voll auf die Erneuerbaren. Beim angesprochenen Stresstest 9 Euro-Ticket sehen wir, wie sehr unsere Bahn in den vergangenen Jahren auf Verschleiß gefahren wurde. Infrastruktur ist marode, Autobahnbrücken sind gesperrt. Hier brauchen wir gewaltige Investitionen, um unser Land fit für die Zukunft zu machen.

Wir werden für diese Herausforderungen Geld in die Hand nehmen müssen. Gleichzeitig an der Schuldenbremse festzuhalten und jeden Vorschlag abzulehnen, der Krisengewinner mehr in die fiskalische Verantwortung nimmt, wird nicht funktionieren. In Ausnahmesituationen, wie die, in der wir uns gerade befinden, brauchen wir auch unkonventionelle Antworten und sollten uns im Zweifel von alten Dogmen verabschieden. Kluge Vorschläge sind willkommen - leider ist aus dem Finanzministerium dazu nichts zu hören. Viele unserer europäischen Nachbarn, sogar konservativ regierte Länder, führen eine sogenannte Übergewinnsteuer ein. Ich bin überzeugt, dass ein solches Instrument bei kluger Ausgestaltung auch bei uns großen Zuspruch, sogar in der Wirtschaft, erfahren würde, weil es für mehr Gerechtigkeit auch zwischen den Unternehmen sorgt.

Die gestresste Mitte in den Blick nehmen

Denn die Zeiten, die wir gerade durchleben, sind geprägt von extremen Ereignissen. In Europa herrscht Krieg. Energie verteuert sich auf unbestimmte Zeit. Wie die Corona-Pandemie im Herbst verläuft, wissen wir noch nicht abschließend. Wir brauchen aber Mittel und politische Antworten für den Umbau unserer Volkswirtschaft. Wir brauchen solide Haushaltsmittel, mittels derer wir unsere Gesellschaft zusammenhalten. Zusammenhalt ist der Garant dafür ist, dass unsere Gesellschaft eine gute Entwicklung nimmt. Zusammenhalt ist notwendige Voraussetzung für Zuversicht und gute Entwicklung.

Wir müssen gezielt diejenigen in den Blick nehmen, die jeden Morgen zur Arbeit gehen, ihre Kinder früh zur Kita bringen, ihre Angehörigen pflegen, in Vereinen aktiv sind – und sich gleichzeitig um die Zukunft sorgen. Diese Menschen gehören in den Mittelpunkt unserer Politik. Darum geben wir mit der Einführung des Bürgergeldes das Versprechen, dass niemand ins Bodenlose fällt, sollte mal etwas schiefgehen. Und arbeiten gleichzeitig mit Qualifizierung und Weiterbildung daran, alle schnell zurück in dauerhafte Arbeit zu bringen. Deshalb sind uns auch die Kindergrundsicherung, die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro, Tariflöhne und stabile Renten so wichtig.

Wir dürfen diejenigen, die gerade so viel verdienen, dass sie keine Transferleistungen des Staates erhalten, nicht aus dem Blick verlieren. Sie treffen die gegenwärtigen Preissteigerungen besonders hart, obwohl kaum Rücklagen zum Abfedern vorhanden sind. Wo es am Monatsende schon knapp war, geht es jetzt ans Eingemachte. Hier brauchen wir gezielte Entlastungen und müssen Härten abfedern. Wir können jeden Euro nur einmal ausgeben. Darum können wir Geld nicht mit der Gießkanne verteilen, sondern müssen sehr genau entlasten. Vorschläge, von denen einseitig nur Besserverdienende profitieren sind das völlig falsche Signal.

Die SPD-Bundestagsfraktion ist bereit, sich dem politischen Stresstest jeden Tag aufs Neue zu stellen. Wir kümmern uns. Wir sehen die Herausforderungen und werden Härten abfedern. Denn ein Stresstest ist nicht gut oder schlecht. Entscheidend ist, welche Schlüsse daraus folgen und wie wir handeln.