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Interview mit Katja Mast MdB zu Gehsteigbelästigungen | Mast: "Wollen Gehsteigbelästigung so schnell wie möglich beenden"

23.10.2022

Sie haben den Spießrutenlauf immer wieder erlebt, den Frauen auf dem Weg zur Schwangerschaftsberatung wegen der Protestierenden vor der Beratungsstelle durchleiden mussten. Was genau passiert da?

Bei mir in Pforzheim ist es die international agierende Organisation „40 Days for Life“, die vor der Beratungsstelle von „Pro Familia“ unter anderem Gottesdienste abhalten. Ansonsten stehen dort vierzig Tage lang die Protestierenden mit Plakaten und Gesängen. Die Frauen müssen direkt an ihnen vorbei und viele fühlen sich extrem unter Druck gesetzt. Nicht wenige werden erkannt.

Die Koalition will dieser Gehsteigbelästigung, so heißt das juristisch, ein Ende machen. Wie denn? Kommen Sie da nicht mit dem Demonstrationsrecht in Konflikt?

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hat angekündigt, noch bis Dezember einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorlegen zu wollen. Wenn es nach der SPD-Fraktion ginge, dann würde die Sache im Rahmen des Schwangerschaftskonfliktberatungsgesetzes, nicht im Versammlungsrecht, geregelt. Es ist legitim, dass Menschen ihrer Meinung öffentlich Ausdruck verleihen, aber das darf nicht zur Zumutung für Frauen werden, die sich ohnehin in einer extrem schweren persönlichen Situation befinden. Schließlich sind Frauen gesetzlich verpflichtet, sich beraten zu lassen.

Wie wäre es mit einer Online-Beratung?

Zwar haben wir gesehen, dass Online-Beratungen während Corona eine Option sein können. Generell glaube ich aber nicht, dass das sinnvoll ist. Es handelt sich um eine Situation, in der die Frauen eine sehr schwere Entscheidung treffen müssen. Da ist das persönliche Gespräch sicher sinnvoll Außerdem kann es doch nicht sein, dass Frauen auf eine persönliche Beratung verzichten sollen, nur, weil sogenannte Lebensschützer ihnen vor den Bratungsstellen das Leben schwer machen wollen.

Ist es nicht an der Zeit, den Zwang zur Beratung aufzuheben?

Wir arbeiten in der Koalition daran, das Thema Schwangerschaftskonflikt aus dem Strafgesetzbuch herauszuholen. Eine entsprechende Kommission wird daran arbeiten. Das ist aber ein langwieriger Prozess. Die Gehsteigbelästigung wollen wir so schnell wie möglich beenden.

Wie kann eigentlich eine Sozialdemokratin ruhig bleiben, nach über 100 Jahren Kampf gegen den Paragrafen 218, der Schwangerschaftsabbrüche kriminalisiert?

Das ist eine sehr sensible Debatte, für die man einen langen Atem braucht. Manchmal sind 100 Jahre eben nicht genug. Wir haben pragmatische Lösungen gefunden, um den Frauen die Selbstbestimmung zu ermöglichen. Irgendwann schaffen wir auch die völlige Entkriminalisierung.

Täuscht der Eindruck, oder gewinnen die sogenannten Lebensschützer an Zulauf?

Das ist schwer zu sagen. Sie sind auf jeden Fall aggressiver geworden. Interessant ist, dass es keine Proteste vor kirchlichen Beratungsstellen gibt. Und wenn es den Demonstrantinnen und Demonstranten wirklich darum ginge, aufzuklären oder zu diskutieren, hätte man in Fußgängerzonen deutlich mehr Aufmerksamkeit als vor einer Beratungsstelle. Aber offensichtlich geht es vor allem darum, Frauen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beratungsstellen zu stigmatisieren.

Die Gegner der weiblichen Selbstbestimmung argumentieren damit, dass das Leben mit der Befruchtung der Eizelle beginnt. Ist das falsch?

Darum geht es nicht in diesem Konflikt. Kinder sind etwas Wunderbares. Ich bin selbst Mutter. Es ist ein großes Glück Kinder zu haben und die Gesellschaft sollte alles dafür tun, dass jedes Kind sich gut sehr gut entwickelt. Aber es gibt Situationen, in denen Frauen oder auch Familien überfordert sind mit einer ungewollten Schwangerschaft. Es muss die Entscheidung der Frauen bleiben.